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  • AutorenbildRichard Blaha

Die Messitante

Aktualisiert: 8. Sept. 2023


Ich soll bald wieder auf einer Lesebühne auftreten und habe mir vorgenommen einen nachdenklichen und trotzdem zumindest ein wenig humorvollen Text zu schreiben. Denn mindestens ein Lacher aus dem Publikum wirkt auf uns, die hier oben auf der Bühne stehen, einigermaßen motivierend. Solange wir uns nicht ausgelacht fühlen.


Vielleicht wird dieser Text aber zu keinen Lachern führen. Denn ich fange damit an, dass letzen Samstag ein alter Freund von mir an Krebs gestorben ist. Also, er war nicht alt, er war zum Zeitpunkt seines Todes 42. Mit „alter“ Freund meine ich, dass ich ihn seit 16 Jahren kannte. Ab zehn Jahren darf man Bekanntschaften wahrscheinlich als alt bezeichnen.


Christoph war einer dieser typischen Berlin-Mitte-Partylöwen. Nur etwas schlimmer. Sein Leben widmete er ausschließlich der Party in Mitte.

Ich war früher oft in Mitte feiern, selbst in den Nullerjahren, als der Underground in Berlins bekanntesten Bezirken schon hip und in Mitte teilweise fast schon hop geworden ist und südamerikanisches Pulver sich gegen Sterni durchgesetzt hatte. Christoph feierte so bis zum Schluss. Er erzählte uns allen über seine Erkrankung, lehnte aber alle Therapien und alle guten Ratschläge für eine Verlängerung seines Lebens ab. Er wollte weiterfeiern, bis es vorbei ist und das tat er mit Hingabe. Bis sein Körper so schwach war, dass nichts mehr ging.

Jemand kommentierte seinen Tod treffend mit „Schnell gelebt, schnell gegangen“.


Je älter ich wurde, desto hipper wurden die Partys in Mitte und desto weniger zählte ich mich zu den Berlin-Mitte-Partymenschen. Deswegen habe ich in den letzten Jahren nicht mehr so viel Kontakt zu Christoph gehabt. Trotzdem ist es ein seltsames Gefühl, wenn jemand, den man so lange kennt, so plötzlich vorgeht.


Christoph wollte immer, dass alle mit ihm zusammenfeiern und zahlte gerne mal alle Runden für seine Freundinnen und Freunde und Bekannte wie mich. Doch er brachte uns alle auch sehr gerne in Verlegenheit. Einmal schrieb er mich auf die Gästeliste der Engtanz-Veranstaltung und fragte mich, ob meine Plus 1 eine attraktive Frau wäre. Denn ohne attraktive Frau wäre der Gästelisten-Platz nutzlos. Ich hielt es für einen Scherz und sagte, dass meine Plus 1 definitiv attraktiv sei. Als wir auf der Party ankamen, musterte er meine Begleitung von oben bis unten und sagte super laut: „Ja, du hast recht. Sie sieht geil aus. Hast dir die Gästeliste verdient.“. Der böse Blick meiner Begleitung in meine Richtung war mir ganz schön peinlich, doch genau darüber lachte Christoph dann. Er gehörte zu dieser Art Mensch, die es amüsant finden, anderen verbale Streiche zu spielen oder sie in peinliche oder absurde Situationen zu bringen.


Selbst nach seinem Tod fand ich mich in einer dieser absurden Situationen wieder. Aber diese hatte eher damit zu tun, dass ich etwas auf dem Schlauch stand.


Ein Freund von ihm postete auf Facebook, dass Christoph sein Krebsgeschwür Charlotte nannte. Und dass Charlotte eine richtige Messitante war. Eine Messitante, die ihren Müll überall in seinem Körper hinterlassen hat.


Als ich das las, erschauderte ich. Ich dachte, dass es sich bei dem Begriff Messitante um die Bezeichnung einer fortgeschrittenen Krebserkrankung handelt, wie Tumor oder Metastase. Da er die Messitante zweimal erwähnte, um sie hervorzuheben, war ich davon überzeugt, dass diese Messitante echt schlimm sein muss.


Meine Wissensgier war enorm und ich musste unbedingt herausfinden, um was es sich dabei handelt. Von Medizin habe ich eben keine Ahnung. Ich googelte „Messitante Krebs“, doch ich fand keine einzige vernünftige Antwort. Nur Berichte über Metastasen. Vielleicht meinte sein Kumpel ja doch Metastasen und hat sich nur vertippt? Passiert uns ja allen mal. Aber zweimal in einem Satz? Das wäre unwahrscheinlich.


Ich googelte dann nur „Messitante“, also ohne Krebs, doch es erschienen nur Berichte über den Fußballer Lionel Messi. Also fragte ich ChatGPT, aber sie wusste es auch nicht. Sie schrieb mir zurück: "Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was 'Messitante' bedeutet, da mir der Begriff nicht bekannt ist. Es könnte sich um eine falsche Schreibweise oder um einen regionalen oder umgangssprachlichen Begriff handeln. Bitte geben Sie mir mehr Informationen oder Kontext, um zu verstehen, was Sie damit meinen könnten."


Also schrieb ich „Kontext: Krebs“.

Aber die KI konnte mir auch nicht sagen, was es damit auf sich haben könnte: "Vielen Dank für den Kontext. Ich kann jedoch immer noch keine definitive Antwort geben, da 'Messitante' mir nicht als gängiger Begriff im Zusammenhang mit Krebs bekannt ist. Es könnte ein Begriff sein, der in einer bestimmten Region, Kultur oder Sprache verwendet wird."


Ich wollte mir nicht die Blöße geben und mein Unwissen preisgeben, deswegen traute ich mich nicht, seinen Kumpel oder meine Freundinnen aus der Medizin zu fragen, was für ein Krankheitsbild eine „Messitante“ ist. Ich ging lieber in die Bibliothek, um an sachliche Informationen zu kommen. Doch auch hier wurde ich enttäuscht. Kein einziger Eintrag über eine Messitante.


Ich ging in mich und analysierte das Wort auf die gute, alte Art. Ich trennte es erst einmal: Mes Sitante. Vielleicht kommt es ja aus dem Lateinischen. Oder vielleicht aus dem Französischen? Mes Sitante (Anm.: französische Aussprache).

Ich schlug sowohl Mes Sitante (latein) als auch Mes Sitante (französisch) im digitalen Wörterbuch nach.

Aber nach etwasRecherche war schnell klar, dass weder das Wort Sitante (latein) noch der Begriff Sitante (französisch) in keiner der beiden Sprachen, und überhaupt in irgendeiner Sprache existiert.

Vielleicht sollte ich eine Band oder eine Firma gründen und sie so nennen?

Ich ärgere mich schließlich immer noch darüber, dass ich mir nie die Rechte an der Wortschöpfung Covid gesichert hatte. Das Wort hatte ich schon als Kind erfunden, als Abkürzung für Kobra-Video. Unter dem Namen wollte ich damals Action-Filme produzieren und die Musik dazu komponieren.


Ich trennte das Wort Messitante dann erneut, und als ich endlich Messi und Tante getrennt voneinander entdeckte, wurde mir klar, dass er die allseits bekannte Messitante meinte. Jetzt machte der Post auch für mich Sinn.


Ach, bin ich manchmal doof! Zum Glück habe ich nicht nachgefragt.


Ja, er hatte recht. Krebs ist eine verdammte Messitante und hinterlässt nur Müll im Körper.

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