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  • AutorenbildRichard Blaha

Die Tränen des Königreiches

Wenn ein Mann in Berlin nach über fünf Jahren Beziehung unerwartet Single wird, eröffnen sich auf einmal so viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen, ohne dass sich ständig abgesprochen werden muss: Schwarzsauer, Baiz, Soho House, Theater, Kino, Konzert, Café, Bäckerei, Swingerclub, Kitkat, Berghain, Weinbar, Kneipe, Deutschlandticket.


Aber was macht der Mann? Er bleibt zuhause und sucht Schreine in der Ebene von Hyrule. Ein Freund fragt ihn, ob er mit auf ein Bier beim Späti kommt, aber der Mann sagt, dass er lieber zuhause bleibt und Tears Of The Kingdom spielt. Der Freund denkt, das wäre ein Euphemismus für Masturbation und bekommt über seinen eigenen Witz einen nicht enden wollenden Lachanfall. "Tränen des Königreiches, hahaha... Tränen... haha“, usw. Doch der Mann hat gerade keinen Sinn für Humor und spürt Tränen in seinen Augen.


Der Mann trifft sich mit hübschen Frauen, doch diese haben seltsamerweise immer die Angewohnheit, ihre Kumpels dazuzuholen. Die Kumpels und die Freundinnen wollen den Mann dann mit irgendwelchen Freundinnen von ihnen verkuppeln, die nicht mehr alleine sein wollen. Aber der Mann ist doch erst jetzt nach langer Zeit wieder alleine geworden. Gerade jetzt will er doch entweder nur alleine oder nur mit der zusammen sein, die ihn in den letzten fünf Jahren begleitet hatte. Es gibt keine Alternative dazwischen.

Er schreibt ihr abends angetrunkene Textnachrichten, um sich zu vergewissern, dass er jetzt wirklich alleine ist. Mehrere Jahre lang konnte der Mann abends oder nachts immer schreiben und eine Lesebestätigung war so gut wie immer sofort da, und meistens folgte auch eine Antwort. Jetzt ist ihr Smartphone jeden Abend und jede Nacht ausgeschaltet. Der Haken, dass die Nachrichten nicht angekommen sind, verrät das heutzutage.

Ja, der Mann hat immerhin die Bestätigung, dass er jetzt wirklich alleine ist und machen kann, was er will.

Eigentlich sollte der Mann sich freuen, dass sie an den Abenden und in den Nächten nicht alleine ist und dass es ihr gut geht. Aber irgendwie will keine Freude aufkommen. Da kann er sich zum Tausendsten Mal „Das Leben des Brian“ oder fast alle Folgen von "The IT Crowd" ansehen. Es lenkt ihn nicht ab, wie sonst immer.


Zwei Wochen vor seinem 50. Geburtstag denkt sich der Mann, dass er sich jetzt zumindest austoben kann, bevor er zu alt dafür ist. Vielleicht tobt er sich ein paar Jahre lang aus, vielleicht sogar bis ans Lebensende. Vielleicht wird das Austoben für das Lebensende mitentscheidend sein, der Mann ist schließlich nicht mehr 21.

Jetzt hat er immerhin auch mehr Zeit für Arbeit und Akquise. Wenn die Branche, in der er seit 25 Jahren arbeitet, nur nicht so tot wäre und er auch endlich wieder mit seinen Leuten zusammenarbeiten dürfte, ohne dass ihm ständig gesagt wird, dass die Musik für die Projekte für die er vorgeschlagen wird,  laut Verträgen doch jemand anderes machen soll oder dass seine Angebote zu teuer wären und dass heutzutage doch statt Artist Artlist angesagt wäre. Ja. Der Mann von dem ich spreche ist ein Komponist.

Mit etwas Arbeit und Geld und ohne Existenzängste wäre es für ihn durchaus einfacher, diese temporäre emotionale Situation zu überwinden.

Dafür geht es aber zum Glück noch mit Humor.  Humor geht immer. Der Mann beschließt, dass seine nächsten Texte jetzt noch skurriler, gesellschaftskritischer, darker und lustiger werden und freut sich auf ein fröhliches Publikum.

Humor ist der schönste Ausdruck der Verzweiflung.

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